„Corporate Psychopath“ – Psychopathen bei der Arbeit
Dark Leadership: Warum sind Psychopathen gefährlich und wie destabilisieren sie das Gehirn?
Narzissten sind schon schwierig, aber richtig anstrengend werden Personen mit psychopathischer Veranlagung. Warum ist das so, warum sind Psychopathen gefährlich und wie destabilisieren sie das Gehirn?
Hier geht es jetzt nicht um die Serienkiller, die gerne als anschauliche Beispiele dienen. Diese sitzen im Gefängnis und standen in den letzten Jahrzehnten vorrangig im Fokus der Forschung. Ich möchte Ihren Blick auf subklinische Ausprägungen von Psychopathen lenken. Diese fallen nämlich im Unternehmen nicht so schnell auf und machen öfter sogar eine überraschende Karriere.
Psychopathen sind „soziale Chamäleons“
Menschen mit psychopathischer Veranlagung sind gefühlsarm und kennen keine Angst, Rückschläge sind für sie nicht belastend und außerordentliche Herausforderungen bedeuten für psychopathische Persönlichkeiten ein stimulierendes, aktivierendes Lebenselixier. Sie imitieren Gefühle, weil dies ihnen den Zugang zu anderen Menschen ermöglicht, ohne die dazugehörenden Emotionen zu erleben.
Sie passen sich perfekt an ihre soziale Umwelt an und sind geschickt darin, Mitmenschen zu manipulieren. Sie lügen, sie destabilisieren, sie quälen unter Umständen und empfinden keine Reue. Sie haben die Fähigkeit, in Ausnahmesituationen sich auf den aktuellen Augenblick zu fokussieren und bleiben daher ruhig, konzentriert und handlungsfähig. Damit haben Sie einen großen Vorteil, insbesondere wenn sie im Unternehmen eine sehr herausfordernde Aufgabe zu meistern haben, beispielsweise als CEO oder als Sanierer.
Psychopathen haben die ausgezeichnete Fähigkeit, andere Personen genau einschätzen zu können, sie lesen andere Menschen präzise. Auch dies ist eine kognitive Fähigkeit, die in Verhandlungen und Auseinandersetzungen von Vorteil ist.
Opfer von Psychopathen empfinden Scham
„Ich kann es mir nicht erklären, weshalb ich das alles, so lange habe mit mir machen lassen. Ich bin nicht nur zornig auf ihn, sondern auch auf mich. Es ist mir peinlich.“ sagte die Mitarbeiterin eines psychopathischen Chefs, die den „lebensrettenden“ Sprung in eine ungewisse Zukunft gewagt und gekündigt hatte.
Die Zusammenarbeit mit einem Psychopathen beginnt ganz normal, zuerst gibt es sogar eine starke Wertschätzung in der Zusammenarbeit, der Preis dafür ist die Forderung nach bedingungsloser Loyalität und Verfügbarkeit.
Dann beginnt eine Phase der Irritationen mit Unwahrheiten und schroffer Gefühllosigkeit. Werte, Normen und Vereinbarungen haben plötzlich keine Bedeutung. Faszinierend ist die Angstfreiheit und die Dominanz eines Psychopathen. Ein kritische Gespräche mit Geschäftsführern, Vorstand oder Aufsichtsrat sind für den Psychopathen stressfrei. Unberechenbare Launen und Stimmungen unterstreichen nur seine Forderung zur Unterordnung und Anpassung.
Nachdem die Dosis der Zumutungen anfangs schwach ist und die Betroffenen sich dadurch langsam daran gewöhnen, steigert sich im Lauf der Zeit deren Intensität und die Zielpersonen landen in der Konsistenzfalle. „Ich habe es bisher doch ausgehalten, warum soll ich denn jetzt etwas dagegen unternehmen?“ fragen sich die Opfer.
Das erkennt und nutzt der Psychopath.
Wo finden wir Psychopathen – wie viele sind es?
Glücklicherweise lauern Psychopathen nicht überall. Eine großangelegte Studie in England von Professor Kevin Dutton vom Lehrstuhl für Experimentelle Psychologie an der Universität Oxford geht von einem bis zwei Prozent in der Bevölkerung aus.
Allerdings steigt der Anteil von Menschen mit psychopathischer Veranlagung in Führungspositionen auf sechs bis vierzehn Prozent, eine australische Studie nennt sogar 21 Prozent. Je höher die Hierarchie-Stufe, desto häufiger ermitteln Forscher psychopathische Veranlagungen. Zudem gibt es Branchen und Berufszweige, in denen Psychopathen besonders häufig zu finden sind: in Versicherungen, im Vertrieb, im Bankenbereich.
Bereiche, in denen es um viel Geld geht und in denen Fehlentscheidungen zur letzten Finanzkrise geführt haben. Ein prominentes Beispiel ist Richard „Dick“ Fuld, vormals Chef von Lehman Brothers. In der Branche bekannt auch als „Gorilla“, wegen seiner Wutanfälle. Ein Banker ohne Reue, skrupellos, selbstherrlich und schroff. Fuld ist der Prototyp eines zeitweilig sehr erfolgreichen Psychopathen und zudem verantwortlich für einen 600 – Milliarden – Dollar – Bankrott!
Psychopathen haben gute Nerven und machen Politik
Psychopathische Züge werden auch Silvio Berlusconi zugeschrieben. Er hat sein Amt dazu verwendet seine eigenen finanziellen Interessen zu befriedigen und war dennoch Ministerpräsident, mit der längsten Amtsdauer Italiens.
Berlusconi hat Kontakte zur Mafia und zur Geheimloge P2 genutzt, um kommerzielle TV-Sender in Italien zu erwerben. Ihm wird Geldwäsche in der Schweiz vorgeworfen. Seine Unternehmen kontrollieren 70% der italienischen Medien. Er ist wegen Meineids rechtskräftig verurteilt, die Staatsanwaltschaft wirft ihm Bilanzfälschungen und Steuerhinterziehung vor. Jetzt mit 81 Jahren steigt er erneut in den politischen Ring.
„Buonasera“, sagt er jetzt wieder abends entspannt auf den Wahlveranstaltungen, mit sonorer Stimme, frisch zurecht gemacht auf einer Schönheitsfarm in Südtirol. Berlusconi ist ein Mann, der sich für einen großen Politiker, Entertainer, Liebhaber, Wirtschaftsführer hält, ein Mann mit Charisma und Machtstreben.
Psychopathie und Neurowissenschaft
Kent Kiehl, Professor für Neurowissenschaften an der University of New Mexico und Direktor des Mind Research Networks in Albuquerque, ist überzeugt, dass der Schlüssel für das psychopathische Verhalten in der Struktur des Gehirns von Psychopathen zu finden ist. Er geht davon aus, dass im Gehirn der Bereich für Empathie nicht entwickelt ist, vergleichbar mit einem fehlenden Muskel.
Kiehl hat die Genehmigung des Gouverneurs von New Mexico, die Gehirne von Straftätern in zwölf staatlichen Gefängnissen mit einem mobilen MRI-Scanner zu untersuchen. Etwa 800 bis 900 Gefangene sollen mit dem Scanner pro Jahr untersucht werden. „Wenn wir die beteiligten Gehirnregionen bestimmen, die Psychopathie bewirken, dann sind wir in der Lage wirksame Medikamente zu entwickeln.“ hofft Kent Kiehl.
Große Hoffnungen, dass Sie einen psychopathischen Manager mit Hilfe von roten oder blauen Pillen jetzt schon von seinem aktuellen Vorgehen abbringen können, sollten Sie sich also noch nicht machen.
Woran erkenne ich Psychopathen – Eine Checkliste
Möglicherweise haben Sie es auch in Ihrem Umfeld, in Ihrer Firma, mit einer Person zu tun, bei der Sie nach der bisherigen Lektüre nachdenklich geworden sind. Dann kann Ihnen das folgende beschreibende Quiz helfen, einen Psychopathen im Unternehmen klarer zu diagnostizieren.
Nutzen Sie bitte diese Fragen und Merkmale im Quiz als Test, um zu erfahren, wie stark Sie eine psychopathische Veranlagung einschätzen und ob Handlungsbedarf vorliegt.
Wie Psychopathen im Unternehmen handeln – Fallstudie
Der psychopathische Interimsmanager
Ronald B. kämmt seine längeren Haare mit den Händen nach hinten. Er sei frankophil, äußert er in unserem ersten Gespräch. Ronald kennt sich aus, durch seine Studiengänge in Wirtschaft, Politik und Germanistik könne man ihm nichts vormachen. Er war als Journalist tätig, später Manager in einem Automobilkonzern, dann habe er als Geschäftsführer einer großen Unternehmensberatung gearbeitet. Jetzt ist er der neue Interims-Bereichsleiter eines Modekonzerns.
Ronald wirkt glatt, man kommt nicht in Kontakt, sein Lächeln, das er gelegentlich zeigt, wirkt angeschaltet und verschwindet schnell, der Rest des Gesichts verändert sich nicht. Er blickt beim Sprechen einen zu lange und tief, sehr fokussiert an. Meine Spiegelneuronen senden mir als Gefahrenhinweis eine Mischung aus Ekel und „bloß weg hier“.
Ronald zeigt mir eine App auf dem Iphone. „Ich brauche hier mit niemandem zu sprechen, um zu wissen wie er ist – ich habe alle Profildaten hier“.
Im Zusammentreffen mit der Geschäftsführung zeigt sich Ronald gewandt und vermittelt, aktuelle und neue Themen zu beherrschen. „Dieses Thema macht auch Google, da kenne ich mich aus.“ sagt er. Das finden die mittelständischen Firmenleiter beeindruckend.
„In meiner Rolle gehöre ich in die Geschäftsführung“, sagt Ronald. Er versucht konsequent den Kontakt zu diesem Kreis herzustellen, gleichzeitig erschwert er Anderen den Zugang. „Alle Kontakte zur Geschäftsführung, alle Personal-Themen müssen über meinen Tisch laufen! Es ist meine Aufgabe, dass sich die Herren auf ihre strategischen Themen konzentrieren.“ Das ist keine Idee, das ist Gesetz von Ronald.
In Besprechungen mit seinen Mitarbeitern, tippt er ins Handy, lacht unvermittelt bei Präsentationen, schüttelt den Kopf oder dreht sich weg zum Fenster.
Einige Führungskräfte aus dem Haus sagen mir „ich will es mir nicht verscherzen mit ihm, der ist zu nah an der Geschäfts -führung. Ich traue ihm aber nicht über den Weg.“
In der Organisation ändert sich die Stimmung. Früher haben die Führungskräfte gescherzt, jetzt sind sie ernst. „Es ist komisch geworden hier, der Spaß ist weg“, sagt eine Führungskraft, bekannt dafür, mit Schwung viel zu bewegen.
Ich spreche mit Mitarbeitern der Personalabteilung. Es hat etwas Kraftloses. Eine Mitarbeiterin, langjährig mit dem Haus verbunden, sagt mir, dass sie gekündigt habe. „Ich halte diese Stimmung nicht mehr aus, er macht mir Angst, vor allem seine willkürliche, ungehaltene und vernichtende Kritik“, sagt sie.
Ihr Kollege Jossip hat Kopfschmerzen, „wenn Ronald B. da ist, kann ich mich nicht konzentrieren, bin unruhig.“
Ronald zeigt Dominanzgesten, wie ein Raubtier, arbeitet mit harter, schroffer Kritik aus dem Hoch-Status und stellt seine Umgebung konsequent in den Tief-Status. Diese Person wirkt toxisch, das destabilisiert die Menschen in seinem Umfeld.
Mittlerweile musste Ronald B., nach Hinweisen zu seiner Persönlichkeit und nach solider Dokumentation kritischer Vorfälle, das Unternehmen verlassen.
Handlungs-Strategien für die Zusammenarbeit mit einem Psychopathen
Sie werden einen Psychopathen nicht ändern können, daher bringt Hoffnung auf eine Besserung nichts. Paul Watzlawick hat bereits postuliert, dass es bei krankmachender Kommunikation nur vier Verhaltens-möglichkeiten gibt: Mord, Selbstmord, Verrücktwerden oder Trennung. Trennung scheint daher die günstigste Variante in dieser Auswahl.
Gleichzeitig bitte ich, neue Überlegungen der Forschung zu berücksichtigen. Nur die Menschen, die den „Psychopathie-Regler“ voll aufgedreht haben, werden Serientäter. Es gibt aber eine ganze Zahl, wenigstens ein Prozent von Menschen, die mit funktionaler Psychopathie, durchs Leben gehen. Es hängt also von der Ausprägung ab.
Interessanterweise werden immer ein Prozent an Psychopathen in der Forschung gefunden und genannt, daher scheint eine genetische Veranlagung für Psychopathie in schweren Zeiten oder für ungewöhnliche Berufe durchaus sinnvoll. Also Tätigkeiten und Berufe, für die eine maximale Coolness günstig ist: Chirurgen, Bomben-Entschärfer, Spezial-Einsatz-Kräfte, Anwälte, CEOs, Agenten… Psychopathische Merkmale sind bei diesen Personengruppen, wie bei einem Schieberegler, günstig ausgeprägt. Diese Personengruppen bleiben in Situationen entspannt, bei denen wir Anderen bereits völlig mit den Nerven am Ende sind.
Wenn man es mit einem psychopathischen Kollegen oder Chef zu tun hat, dann sollten Sie
- Kritische Vorfälle genau dokumentieren
- Vereinbarungen einfordern
- Distanz wahren und das eigene Territorium schützen
- Unbedingt klare Grenzen ziehen
- Verbündete / Vertrauenspersonen einbeziehen
- Sich nicht isolieren lassen
- Konsequent handeln – nicht hinhalten lassen
- Auf die eigene Position achten
- Personalabteilung oder HR einschalten
- Psychologische Fachkräfte einbeziehen
Ist man das „Ziel“ einer psychopathischen Führungskraft, bleibt immer die Option, sich in einen anderen Bereich versetzen zu lassen, oder als letzte Konsequenz, das Arbeitsverhältnis zu lösen. Bereiten Sie sich darauf vor, dass ein Mensch mit psychopathischer Veranlagung versuchen wird, Sie wieder unter seinen Einfluss zu bringen. Bleiben Sie standhaft. Geben Sie bitte die Hoffnung auf, dass er/sie sich ändert.
Ausblick auf die nächsten Kapitel:
- Die dissozialen, machiavellistischen Personen sind oft scharfsinnig und pragmatische Denker, manipulativ und nicht rücksichtsvoll im Vorgehen.
- Die sadistische Führungskraft findet es erregend, zu quälen und erlebt den Reiz der Macht auch sinnlich stimulierend.
- Effizient Bedrohungsmanagement im Unternehmen etablieren.